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S wie Schreibmaschine

 

Aus unserem SammlungsA-Z

 

Auf den ersten Blick ist an dieser Schreibmaschine der Firma Adler (Inv.-Nr. 2022.020) nichts Besonderes. Das Modell „Standard“ ist eine klassische mechanische Schreibmaschine – beziehungsweise eine Typenhebelmaschine mit Vorderaufschlag, wenn man es ganz genau wissen möchte. Maschinen dieser Art gab es serienmäßig seit den 1890er-Jahren und erst ab den 1960er-Jahren wurden sie schrittweise von elektrisch betriebenen Kugelkopf- und Typenradmaschinen abgelöst. Unser Exemplar wurde der Seriennummer zufolge 1938 oder 1939 hergestellt.

Warum hat aber das Museum Lindau eine Schreibmaschine in ihrer Sammlung, die vielleicht eher in ein Technikmuseum passen würde?

Dafür gibt es zwei Gründe: zum einen stammt die Schreibmaschine aus dem Lindauer Landratsamt und zum anderen findet sich auf ihr ein eher ungewöhnliches Zeichen: die „3“ teilt sich nämlich eine Taste mit der doppelten Siegrune, das blitzförmige Emblem der nationalsozialistischen Schutzstaffel (SS).

Die von Hitler 1925 als Leibgarde gegründete Einheit wurde im Dritten Reich von Heinrich Himmler zu einer ideologischen Eliteorganisation ausgebaut und war das wichtigste Terror- und Unterdrückungsorgan des NS-Staates. Ihr militärischer Arm, die Waffen-SS agierte neben der Wehrmacht als Armee der NSDAP und verübte während des Zweiten Weltkriegs zahllose Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit – allen voran den Holocaust, welchem ca. 6 Millionen europäische Juden zum Opfer fielen.

Wie kommt nun die SS-Rune auf eine Schreibmaschine im Landrat Lindau? Während des Dritten Reichs wurden Schreibmaschinen mit der SS-Rune serienmäßig hergestellt. Allerdings handelte es sich dabei größtenteils um Maschinen, die im militärischen Kontext eingesetzt wurden – etwa im Reichssicherheitshauptamt (RSHA) oder bei der Wehrmacht, wo eine häufige Erwähnung der SS vorstellbar wäre.

Die Adlerwerke haben Schreibmaschinen mit der SS-Rune allerdings nie serienmäßig hergestellt. Stattdessen trug die „Standard“ an dieser Stelle ein kursives „M“ für „Mark“. Wahrscheinlich hat bei dieser Maschine eine spezialisierte Werkstatt die Taste nachträglich installiert.

Aber warum? Hatte das Landratsamt Lindau besonders oft mit der SS zu tun? Immerhin war in Lindau der 2. Sturmbann der 29. SS-Standarte stationiert. Gab es einen regen Austausch zwischen diesen Institutionen? Wollte jemand im Landratsamt Lindau durch die Nachrüstung der Rune an den Schreibmaschinen Pluspunkte bei den Vorgesetzten sammeln?

Bisher können wir nur Vermutungen anstellen, was es mit der Rune auf dieser Schreibmaschine auf sich hat, denn Schriftstücke aus dem Lindauer Landratsamt, welche die SS-Rune beinhalten, sind uns bisher nicht bekannt. Auf jeden Fall ist sie ein anschauliches Beispiel dafür, wie die NS-Symbolik jeden Aspekt des Alltagslebens im Dritten Reich infiltrierte.

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