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I wie Innenleben

 

aus unserem Sammlungs A-Z

 

Büffet- oder Kredenz-Aufsatz, VMöb. 5
Fichte; Birnbaum
Erworben Sommer 1944 aus der "Krone " Preis RM 200,-
Achtung: Diese Information auf dem alten Inventarblatt mit Bleistift durchgestrichen!

Steckt nicht in jedem von uns ein (i. d. R. verhinderter) Schatzsucher, eine unstillbare Neugier auf das Unentdeckte, vielleicht sogar Verbotene, und kindliche Lust an seiner Erkundung? Für manch einen jedenfalls gibt es kaum etwas Unwiderstehlicheres als die verschlossene Tür eines alten Schranks, den Deckel einer antiken Truhe oder die unzähligen Schubladen eines Sekretärs. Im Museum gibt es derer viele und die Frage, was sich darin wohl verbergen mag, treibt seit jeher die Besucher (und Museumsmitarbeiter) um.  

Nicht jeder Fall erweist sich dabei als so kurios wie der des Kabinettschränkchens, das im Inventar des Museums Lindau unter der Nummer VMöb. 5 geführt wird. Nicht nur sein einstiger Besitzer hatte größtes Interesse daran, das Innenleben des Möbels fremden Blicken zu entziehen: So widmet sich der im Inventarblatt hinterlegte Beschreibungstext exklusiv der äußeren Erscheinung des Schränkchens – ausführlich schildert der/die Verfasser/in den architektonischen Aufbau und den effektvollen Gipsdekor. Das Innere umgeht er/sie mit dem Hinweis "Abgeschlossen, Schlüssel nicht vorhanden". Juckte es ihn/sie gar nicht in den Fingern, sich einmal an dem einfachen Schloss zu versuchen, um doch einen Blick hinter die hübsch verzierten Türen werfen zu können? Oder hielt er/sie es aus anderen Gründen für angebracht, über das dort Gesehene zu schweigen?

Denkbar ist es, denn tatsächlich ist das Schränkchen weniger harmlos als sein Äußeres vermuten lässt: Im Inneren finden sich keine Fächer oder Laden, sondern eine Reihe bildlicher Darstellungen – mittig ein kleines Gemälde, flankiert von vier Wachsreliefs mit antikisierende weibliche Aktfiguren. Die Malerei basiert auf einer Radierung von Johann Jakob von Sandrart aus dem Jahr 1683 und illustriert eine u. a. von Plinius überlieferte Anekdote aus dem Leben des antiken Malers Zeuxis: Im Bestreben ein vollkommenes Kunstwerk zu schaffen, bat Zeuxis die Bürger Krotons, ihm für sein Bildnis der Göttin Juno die fünf schönsten Mädchen der Stadt als Modelle zur Verfügung zu stellen. Von jedem Mädchen wollte er die körperlichen Vorzüge auswählen, um diese in seinem Bildnis zu vereinen.

Das Gemälde zeigt Zeuxis im Atelier, vor dem nahezu vollendeten Bildnis der Juno sitzend; neben ihm die fünf Mädchen in unterschiedlichen Positionen und Graden der Nacktheit – von sitzend bis stehend und sich schamhaft bedeckend bis hin zu freizügig kokett. Dergestalt dekliniert der Künstler an den fünf Modellen das Thema des Zeigens und Verbergens durch, das bestens zum Charakter des Schränkchens passt: nach außen hin braver Gebrauchsgegenstand, im Inneren privates Erotikon erzählt es seine ganz eigene Geschichte vom Verwahren und Verbergen, von Fantasien, die am besten an einem geheimen Ort aufgehoben waren...

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