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H wie Hochwasser

 

aus unserem Sammlungs A-Z

 

  • Überschwemmung im Juli 1817 in Hundweiler, im Hintergrund das Rainhaus (mit getrepptem Giebel); Gouache von Richard Wiedemann; InvNr G.l.u.u. 81x

Überschwemmung im Juli 1817 in Hundweiler, im Hintergrund das Rainhaus (mit getrepptem Giebel); Gouache von Richard Wiedemann; InvNr G.l.u.u. 81x

Globale Klimaveränderungen waren in Lindau  schon vor 200 Jahren zu bemerken – in der Stadtchronik beschreibt Karl Wolfahrt für die Jahre 1815-1817 ungewöhnliche Wetterphänomene, die katastrophale Auswirkungen auf das Leben der Menschen am Bodensee haben. Was ein Vulkan am anderen Ende der Welt damit zu tun hat, ist ihm 1909 allerdings noch nicht bekannt…


Foto: Eine elegante Sparzierfahrt lässt man sich nicht entgehen.  Überschwemmung im Juli 1817 in Hundweiler, im Hintergrund das Rainhaus (mit getrepptem Giebel); Gouache von Richard Wiedemann; InvNr G.l.u.u. 81x

1815 bricht in Indonesien der Vulkan Tambora mit einer Energieleistung von 175.000 Hiroshima-Atombomben aus und verändert die Erdatmosphäre durch den Ausstoß von Asche und Aerosolen so stark, dass im Folgejahr weltweit eine durchschnittliche Temperaturabsenkung von 3 Grad verzeichnet werden kann.

Als direkte Folge des Ausbruchs verursachen  im „Jahr ohne Sommer“ 1816   ungewöhnlich starke Stürme, Frost,  Regen -und Schneefälle,  Missernten und Hungersnot. Lindau  hat in diesem Jahr  157 Regentage, und die fast vollständig ausgefallene Ernte lässt die Preise für Getreide im Herbst und im Folgejahr 1817 fast auf das Doppelte ansteigen.

„Der Bettel nahm während der Teuerung so überhand, dass man schließlich, um sich der Belästigung zu erwehren, zu dem Mittel der körperlichen Züchtigung für mehrfach betroffene Bettler griff. Andererseits war die Wohltätig rege, private wie öffentliche. Die Stadt ließ billiges Brot backen, und das Spital öffnete seine reichen Kornkammern“ (Wolfahrt, S.269)

Aber die klimatischen Folgen des Vulkanausbruchs zeigen sich noch viel  länger: im Frühsommer 1817 steigt durch die starke Schneeschmelze  der  beiden „vulkanischen“  Winter 1815  und  1816/17  das Bodenseehochwasser auf den bisher höchsten bekannten Stand: 6,36 m. (Zum Vergleich: das sogenannte  „Jahrhundert- Hochwasser“  1999 hatte einen Pegelstand von „nur“ 5,64).

Foto: Fischmarkt in Lindau,  Warentransport  während des Bodenseehochwassers 1817; Kolorierte Radierung;   InvNr  G.l.h.e. 10a
 

„Anfang Juli waren alle Straßen außer der Maximiliansstrasse, Kramergasse und Marktplatz unter Wasser. An der Südseite des Rathauses und am Landtor band man die mit Waren ankommenden Schiffe an. Nieder gelegene Häuser standen tief im Wasser, so wurde das Mädchenschulhaus am Karolinenplatz zu Schiff und durch die Fenster von den Schulkindern erreicht. (Wolfahrt, S.269)

Auch die hölzerne Landtorbrücke steht im Juni  bis zur Fahrbahn unter Wasser;   zwei wasserführende Leitungen, die die Insel mit Frischwasser versorgen,  werden am 7.Juli durch Sturm zerstört - ein harter Schlag für alle, die nun zusätzlich zu den hohen Brotpreisen auch noch importiertes Trinkwasser teuer bezahlen müssen. Aber die eigentliche Katastrophe bricht am 16. Juli 1817 über die Stadt herein:

„Zwischen 10.00 und 11 Uhr vormittags erhob sich ein Weststurm von unerhörter Heftigkeit und in Zeit von einer Viertelstunde war die größte Hälfte der Brücke mit 51 Jochen zertrümmert und weggeschwemmt, völlig spurlos verschwunden. Da man seit einigen Tagen Vorsicht angewendet hatte, z.B. große Wagenladungen und kleinere Wagen verteilt hatte, zuletzt auch den Personenverkehr verboten hatte, erlitt niemand Schaden, außer einem Soldaten, der mit einem Brückenteil weggeschwemmt, aber sofort wieder von bereitstehenden Kameraden in einem Schiff mit Lebensgefahr gerettet wurde.“ ( Wolfahrt, S. 270)




Foto: Der Einsturz der Brücke und die Rettung des Soldaten am 16.Juli 2017; Ölgemälde von Richard Wiedemann;  InvNr ÖHD 2
 

Die zügige und pragmatische Schadensbeseitigung nach Sturm und Hochwasser lassen nicht lange auf sich warten und sorgen dafür, dass die Anbindung der Insel ans Festland, und vor allem der Handel, schnell wieder funktionieren.

„Zwei Schiffe waren stets auf der Fahrt und beförderten Reisende und Güter, auf dem Exerzierplatz (in Reutin)  war eine Salzniederlage,  am Köchlin ein provisorisches Postamt errichtet. Dann stellte man sofort eine Notbrücke her,  die am 17.August eröffnet wurde und mit höchstens 25 Zentnern befahren werden durfte. Die neuen Brücke, die im Wesentlichen heute noch steht, wurde im Juni 1819 fertiggestellt.“

(Wolfahrt , S.270. Der Verfasser sieht diese hölzerne  Brücke so 1909;  1927 wurde sie durch eine Steinbrücke ersetzt, die wiederum 1999 erneuert wurde.)

Foto: „Gaffer“ gab es damals auch schon! Detail aus Ölgemälde ÖHD 2.

 

Zitate aus: Wolfahrt, Karl (Hg.) Geschichte der Stadt Lindau im Bodensee. 2 Bde. Lindau 1909.

Alle Bilder:  Stadtmuseum Lindau

 

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