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C wie Christus

 

Christus an der Geißelsäule

 



Der  Geißel - Christus im Cavazzen  im Raum für Religiöse Volkskunst , vor 1939. Das Foto klebt auf einem alten Inventarblatt.  (© Stadtmuseum)

Diesmal stellen wir ein Objekt vor, das nach fast 100 Jahren als Dauerleigabe wieder an seine rechtmäßigen Eigentümer zurückgegeben werden konnte – Dank eindeutiger Aktenlage:
Haftschein über eine Holzskulptur 193 cm hoch, darstellend Christus an der Geißel-Säule. Die Ortsgemeinde Enzisweiler bzw. die Verwaltung der St Markus Kapelle dortselbst überlässt dem Städtischen Museum Lindau obengenanntes Holzschnitzwerk, und zwar erfolgt die Überlassung auf Abruf u. Widerruf. Die Kapellenstiftung behält sich  Eigentums- und Verfügungsrecht vor. Die Verwaltung des Städtischen Museums verspricht dieses religiöse Bild in treue Obhut zu nehmen.
Unterschrieben vom Oberbürgermeister Siebert, dem Stadtpfarrer und Vorstand des Museumsvereins Haffner und dem Konservator der städt. Sammlung Jordan.  
20. April 1929


Mit diesem historischen Dokument und zeitgenössischer Korrespondenz meldeten sich Pfarrer Gührer und Heimatpfleger Durrer vor einiger Zeit im neuen Museumsdepot, wo die Christus-Statue nach der Räumung ihres angestammten Platzes im Cavazzen mit allen anderen Sammlungsobjekten eingelagert worden war, sorgfältig gegen „Holzwurm“ behandelt und vom Staub befreit.


              
Pfarrer Gührer und Frau Lehner-Urban bei der Abholung 2020: Christus und Säule rollen auf Hunden (=Rollbrettern) aus dem Museumsdepot (© Stadtmuseum)

Zwar kann die Figur nicht an ihrem ursprünglichen Standort in der kleinen Markus-Kapelle aufgestellt werden, aber im Wasserburger Pfarrhaus ist sie jetzt wieder öffentlich zu sehen und erregt sicherlich auch dort Bewunderung … und Schrecken: Alle Besucher, Museumsaufsichten, Hausmeister und Kuratorinnen, die an einem düsteren Abend oder auch nachts noch im Cavazzen zu tun hatten, sind mindesten einmal (oft auch jedes Mal!)  vor Schreck zurückgezuckt, wenn plötzlich die finstere Gestalt im Augenwinkel auftauchte…  

Was hat es mit dieser unheimlichen  Ikonografie auf sich?



Christus an der Geißel-Säule, Stadtmuseum Lindau Inv.Nr VP 6, Leihgabe Markus-Kapelle Enzisweiler (© Stadtmuseum/Flemming)

Es handelt sich um eine überlebensgroße Lindenholz-Skulptur aus der Zeit des Rokoko, datiert ca. 1760-1780. Der Holzschnitzer ist nicht bekannt. Christus im langen Gewand mit Dornenkrone ist mit den Händen an eine Säule gekettet; mit blutende Wunden, ausgemergeltem Gesicht und kraftloser Körperhaltung erscheint er als geschundener Mensch.

Die Ikonografie bezieht sich auf den Bericht der Evangelien von der Geißelung Christi in der Nacht vor der Verurteilung durch Pilatus. In Süddeutschland und im Alpenvorland ist dieses Thema ab dem 18. Jh. überaus beliebt und wird vielfach aufgegriffen. Das Gnadenbild eines „Geißel-Christus“ in Steingaden soll 1738 der Legende nach Tränen vergossen haben und wird seitdem in der jährlichen Wies-Wallfahrt von Gläubigen verehrt, die sich durch das Nachvollziehen der Passion Christi Trost, Hilfe und die Bestätigung ihres Glaubens erhoffen.



Wiesheiland in Steingaden/Pfaffenwinkel (© mons.wikimedia.org/w/index.php?curid=28707795)

Die Säule symbolisiert als „arma christi“, als eines der der sog. Leidenswerkzeuge, ein Element der Passionsgeschichte. Fragmente einer (oder mehrere Säulen) werden als Reliquien  an unterschiedlichen Orten verehrt, z.B. seit dem 13. Jh. in Santa Prassede /Rom. In bildlichen oder plastischen Darstellungen variiert die Form der Säule zu allen Zeiten – die balusterförmige, niedrige Form der Säule, an die der Lindauer Christus gekettet ist, ist typisch für das Barock/Rokoko des 18.Jh.  

Christus selber ist im Typus „Ecce homo“ (Sehet, der Mensch!) dargestellt, bei seiner Zurschaustellung durch Pilatus vor dem Volk als „König der Juden“ (Johannes Evangelium). Er trägt die ihm zur Verhöhnung aufgesetzte Dornenkrone; die Zeichen der Folter sind vor allem in der Körperhaltung abzulesen.

Figuren dieses Typus werden auch als „Christus im Kerker“ bezeichnet und finden sich oft inszeniert in der Sakralarchitektur in Süddeutschland und Österreich. Der Angekettete Christus ist in einer Nische, Ädikula oder Kapelle quasi „eingekerkert“ und  manchmal sogar mit einem „Gefängnis“- Gitter von den Gläubigen und Besuchern getrennt. (z.B. Dießen/Ammersee oder Breitenwang/Tirol)

Leider ist nicht bekannt, in welchem architektonischen Zusammenhang die Figur im 18.Jh in der Kapelle von Enzisweiler aufgestellt war. Aufgrund der flach ausgearbeiteten Rückseite lässt sich aber vermuten, dass auch sie möglicherweise  in einer Wandnische stand.



Kerker-Christus, St Peter und Paul, Breitenwang/Tirol  (© „03-0689-1“. Über RDK Labor - www.rdklabor.de/wiki/Datei:03-0689-1.jpg)  

 

 

 

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